Zurück

Praktikalöhne aus ökonomischer Perspektive

Viele junge Arbeitnehmer, insbesondere Studienabgänger, absolvieren Praktika als Teil ihrer Ausbildung oder als Einstieg ins Berufsleben. Dass der Lohn häufig tief ausfällt, ist weithin bekannt und wird regelmässig diskutiert. Die unterschiedliche Höhe von Praktikantenlöhnen zwischen, aber auch innerhalb von Branchen, sind gross. Wie lassen sich Praktikantenlöhne ökonomisch erklären und was ist eigentlich ein fairer Lohn für Praktikanten?

14.09.2020, von Felix Wüthrich

Expertisefelder Lohngleichheitsanalyse

Definition und gesetzlicher Hintergrund

Um Praktikantenlöhne zu analysieren, muss bekannt sein, wie ein Praktikum definiert ist. Die Bedeutung der „praktischen“ Erfahrungen spiegelt sich im Begriff wider. Eine klare gesetzliche Definition gibt es allerdings nicht. In einem Bericht des Bundesamts für Statistik werden Praktika wie folgt definiert: „Als Praktikum wird eine Tätigkeit bezeichnet, die […] praktische Erfahrungen im künftigen Beruf vermitteln soll […]. Das Praktikum ist zeitlich begrenzt und soll nicht länger als 6 Monate dauern. Die Praktikanten haben laut Rechtssprechung grundsätzlich einen Anspruch auf eine angemessene Entlohnung“.

In der Realität ist die Bandbreite an Tätigkeiten, die als Praktikum bezeichnet werden gross: Praktika zum Schnuppern über wenige Tage, Praktika als Module von Studiengängen, Praktika ausserhalb formeller Ausbildungsprogramme, etc. Generell hält Christian Bruchez, Genfer Anwalt für Arbeitsrecht, jedoch fest, dass Praktikanten entlohnt werden sollten, sobald der Arbeitgeber von der Tätigkeit profitiert. Gesetzliche Vorgaben zur angemessenen Entlohnung gibt es jedoch keine.

Marktmacht der Arbeitgeber insbesondere bei Pflichtpraktika

Eine Erklärung für relativ tiefe Löhne in manchen Branchen für Praktikanten ist Marktmacht. In einem Markt, in dem viele Praktikanten, ein Praktikum bei einem der wenigen grossen z.B. Architekturbüros in der Schweiz absolvieren wollen, haben Arbeitgeber Marktmacht. Das grosse Angebot an Arbeitskräften kommt den Arbeitgebern entgegen und verbessert deren Verhandlungsposition. Werden zudem Pflichtpraktika für Studiengänge oder für weiterführende Ausbildungsstufen vorausgesetzt, haben (zu) tiefe Praktikalöhne auch keine Verknappung des Angebots zur Folge, d.h. im Gleichgewicht kann ein zu tiefer Lohn resultieren. Dies kann erklären, warum Praktika vor allem in Branchen, in denen Praktika als formeller oder informeller Teil einer Ausbildung betrachtet werden, relativ tief entlohnt werden.

Eine Investition in die eigene Ausbildung

In Branchen, in denen das Absolvieren von Praktika eine Voraussetzung für beruflichen Ein- und/oder Aufstieg sind, können Praktika auch als Investition in die eigene Ausbildung betrachtet werden. Die Rendite von Investitionen in Bildung wird als Bildungsrendite bezeichnet. Es gibt bereits Studien, die Bildungsrenditen empirisch untersucht haben. Praktika, die nicht formeller Teil eines Studiums oder einer Ausbildung sind, wurden dabei jedoch nicht spezifisch untersucht. Wenn Praktika nach Abschluss einer Ausbildung oder nach Abschluss eines Studiums als informeller Bestandteil einer Ausbildung betrachtet werden, sollten auch solche Praktika eine Bildungsrendite abwerfen und aus dieser Perspektive diskutiert werden. In diesem Sinne kann ein Praktikum mit einer relativ tiefen Entlohnung als Investition in die eigene Ausbildung betrachtet werden, deren Erträge sich erst langfristig monetarisieren.

Arbeitgeberseitige Investition in besser ausgebildete Arbeitskräfte

Die Bildungsrendite eines Praktikums kann auch arbeitgeberseitig betrachtet werden. Arbeitgeber tragen zur Ausbildung von jungen Arbeitnehmern in Form von Praktika bei. Inwiefern Arbeitgeber während der Ausbildung von den Lernenden profitieren ist unklar, wie schon die Analyse von Lehrlingsausbildungen in der Schweiz gezeigt haben. Im Falle der Lehrlingsausbildung wurde die Schlussfolgerung gemacht, dass Arbeitgeber häufig erst dann von ihren Auszubildenden profitieren, wenn diese nach Abschluss der Ausbildung in den jeweiligen Betrieben bleiben. Zwar unterscheiden sich Lehrstellen und Praktika insbesondere in Bezug auf die Dauer und Inhalte der Anstellung, sie teilen aber den Aspekt der praktischen Ausbildung im Beruf.

Das Anbieten von Ausbildungs- wie auch Praktikumsplätzen kann als Beitrag zum öffentlichen Gut ‚Bildung‘ betrachtet werden. Ob Arbeitgeber in Zukunft von den ausgebildeten Arbeitskräften profitieren (z.B. durch eine Festanstellung) ist unsicher, da sie auch in anderen Betrieben oder selbständig ihre berufliche Laufbahn fortsetzen können. Arbeitgeber, die selbst keinen Beitrag zur Bildung in Form von Ausbildungs- und Praktikumsplätzen leisten, sind in dieser Betrachtung Trittbrettfahrer, die von besser ausgebildeten Arbeitskräften profitieren, ohne einen Beitrag zu dieser Bildung geleistet zu haben. Die Unsicherheit für Arbeitgeber, ob sie in Zukunft von besser ausgebildeten Arbeitskräften profitieren können, kann einen weiterer Grund dafür, warum Praktika relativ tief entlohnt werden.

Welche Praktika sind problematisch

In der bisherigen Diskussion stand der Ausbildungsaspekt von Praktika im Vordergrund. In vielen Kritiken zu Praktika wird Arbeitgebern vorgeworfen, Praktikanten die Arbeit von regulären Mitarbeitern zu übertragen oder Arbeiten zu geben, die ihnen keine Erfahrung am eigentlichen Beruf ermöglichen. Auch der Bund stellt in seiner Empfehlung zur Anstellung von Praktikanten fest, dass diese keine Mitarbeiter ersetzten sollen. Das Fehlen klarerer Richtlinien führt aber dazu, dass Praktikanten keine Möglichkeit haben, relevante Aufgaben und den Ausbildungsaspekt einzufordern.

Chancengleichheit

Eine weitere Problematik von Praktika betrifft vor allem junge Arbeitnehmer aus schlechteren finanziellen Verhältnissen. Wer ein Praktikum absolviert, das die Lebensunterhaltskosten nicht deckt, muss über die Anstellungsdauer auf Erspartes zurückgreifen oder finanzielle Unterstützung beziehen. Wer kein Erspartes hat oder keine finanzielle Unterstützung von Familie (oder Stipendien) erhält, wird also in den Semesterferien eher im Service aushelfen, als ein Praktikum zu absolvieren. Auch solche Neben- oder Sommerjobs bringen wichtige Erfahrungen mit sich. In vielen Branchen wird ein Praktikum jedoch höher gewertet als Serviceerfahrung. Die NZZ zitiert dazu einen Rekrutierungsverantwortlichen aus dem Finanzwesen: „Bewerbungen von Leuten ohne Praktikum prüfen wir erst gar nicht“. Praktika können in diesem Sinne eine Investition in die eigene Ausbildung sein, die man sich leisten können muss.

Fazit

Das Bundesamt für Statistik hat 2007 eine Analyse der Absolventenbefragungen publiziert, die sich mit der ‚Generation Praktikum‘ beschäftigt hat. Der Inhalt verschiedener Praktika und die Entlohnung sind darin jedoch nicht untersucht worden. Es kann also nicht beurteilt werden, ob die Praktika den Bildungsaspekt erfüllen und ob die Entlohnung gerechtfertigt ist. Die Debatte um Praktika begleitet die Schweiz schon eine Weile. Es wäre wünschenswert, diese Analyse mit aktuelleren Daten fortzusetzen und zu erweitern. Insbesondere Arbeitsinhalte und Löhne sollten dabei stärker in den Fokus geraten, um der Debatte eine angemessene Datengrundlage zu bieten und festzustellen, ob und wo Handlungsbedarf zum Schutz junger Arbeitnehmer besteht.

 

Haben Sie Feedback oder Fragen? Bitte wenden Sie sich direkt per Mail an den Autoren oder liken/kommentieren/sharen Sie auf Linkedin.