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#StayHome als Beitrag zu einem öffentlichen Gut

Die weltweite Ausbreitung des neuen Coronavirus hat die Regierungen gezwungen, flächendeckende Verhaltensregeln aufzustellen und deren Einhaltung mit teilweise rigorosen Massnahmen durchzusetzen. Die neue Situation erfordert grosse Anstrengungen eines jeden Einzelnen. Der Mensch handelt aber nicht immer völlig rational, das hat die Forschung aus der Verhaltensökonomik stichhaltig und evidenzbasiert gezeigt. In einer Ausnahmesituation wie der jetzigen, in der sich Menschen innerhalb kürzester Zeit in einem neuen Alltag zurechtfinden und angeordnete Verhaltensregeln umsetzen müssen, kommt dies besonders zum Vorschein. Mithilfe verhaltensökonomischer Erkenntnisse lassen sich augenscheinlich irrationale menschliche Entscheidungen erklären und besser verstehen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, effektivere Massnahmen zur Prävention und Verlangsamung der Ausbreitung des Coronavirus abzuleiten.

Leere Bahnhofshalle

18.03.2020, von Ann-Kathrin Crede

Expertisefelder Gesundheit, Verhaltensökonomik

Ein öffentliches Gut beschreibt in der Ökonomie ein Gut, das durch Nicht-Ausschliessbarkeit und Nicht-Rivalität im Konsum charakterisiert ist. Das bedeutet, es kann niemand vom Konsum des Gutes ausgeschlossen werden und das Gut kann von allen gleichzeitig konsumiert werden. Ein typisches Beispiel eines öffentlichen Gutes ist das Signal eines Leuchtturms: Auch diejenigen, die nichts zur Finanzierung des Leuchtturms beitragen, können von dessen Signal profitieren. Zudem tut es der Qualität des Signals keinen Abbruch, wenn es von mehreren Schiffen gleichzeitig genutzt wird.  

Das primäre öffentliche Gut in der Coronakrise heisst: ein funktionierendes Gesundheitswesen aufrechtzuerhalten. Dies bedingt, dass es gelingt, die Infektionskurve der Neuansteckungen zu verflachen und über die Zeit zu verteilen. Der Aufforderung nachzukommen, möglichst zu Hause zu bleiben und das Haus nur noch aus wichtigen Gründen zu verlassen, kann dies massgeblich unterstützen, und gleicht daher dem Beitrag zu diesem öffentlichen Gut.

In der klassischen ökonomischen Theorie hat ein rationaler Mensch keinen individuellen Anreiz, einen Beitrag zu einem öffentlichen Gut zu leisten, da er als Trittbrettfahrer von den Beiträgen anderer profitieren kann. Das Wohlfahrtsoptimum hingegen wäre, dass alle den vollen Beitrag leisten. Daraus entsteht ein soziales Dilemma und – in vielen Fällen – eine zu geringe Bereitstellung öffentlicher Güter. Um dieses Dilemma zu lösen, werden öffentliche Güter in der Regel vom Staat zur Verfügung gestellt.

Übertragen auf die derzeitige Situation bedeutet dies, dass aus klassisch-theoretischer Sicht jeder Einzelne einen Anreiz hat, das Haus zu verlassen, und sich darauf zu verlassen, dass andere zu Hause bleiben. Im Gleichgewicht würden alle das Haus verlassen, was vor dem Hintergrund der Notwendigkeit von Social Distancing erhebliche Konsequenzen für das Gesundheitssystem mit sich bringen würde. Der Staat könnte das öffentliche Gut nur mit strengsten Regeln und Auflagen bereitstellen.

Obwohl die bisherigen Verhaltensempfehlungen nur teilweise bindend sind, halten sich aber die meisten Menschen daran. Weshalb? Die experimentelle Forschung hat gezeigt, dass sich Menschen in einer Öffentliches-Gut-Situation anders verhalten als dies die Theorie voraussagt: So zeigen Experimente, dass sich etwa 50% der Menschen als sogenannte conditional cooperators verhalten, d.h. sie tragen umso mehr zu einem öffentlichen Gut bei, je mehr dies andere tun (Fischbacher et al. 2001). Dieses Verhalten kann mit sozialen Präferenzen wie Altruismus und Reziprozität erklärt werden. „Nur“ 30% der Menschen sind Trittbrettfahrer und leisten keinen Beitrag zum öffentlichen Gut. Zusätzlich wurde untersucht, wie Trittbrettfahrer-Verhalten begegnet werden kann. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass Menschen, die einen Beitrag zu einem öffentlichen Gut leisten, bereit sind, Trittbrettfahrer auf eigene Kosten zu bestrafen, um diese zu einem Beitrag zu bewegen. In Öffentliches-Gut-Experimenten mit der Möglichkeit, Trittbrettfahrer zu bestrafen, können somit höhere Beiträge zum öffentlichen Gut erreicht werden (Fehr, Gächter 2000).

Was können wir daraus für die Coronakrise ableiten? Menschen sind gewillt, einen Beitrag zu einem öffentlichen Gut zu leisten, wenn andere dies auch tun. In der jetzigen Situation ist es also wichtig aufzuzeigen, dass sich viele Menschen an die Aufforderung halten, zu Hause zu bleiben. Die Bilder von leeren Strassen, Bahnhöfen und Einkaufspassagen, die zur Zeit ein integraler Bestandteil der Berichterstattung in den Medien sind, haben folglich eine wichtige Funktion. Auch die sozialen Medien tragen durch Hashtags wie #StayHome zu Transparenz bei, die es ermöglicht, Hinweise über das Verhalten anderer zu erhalten. So bekennen sich derzeit viele Arbeitnehmende durch Beiträge in den sozialen Medien zu ihrer Homeoffice Situation und können damit einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Öffentliches-Gut-Problematik durch zu Hause bleiben zu entschärfen. Die Möglichkeit, Trittbrettfahrer zu bestrafen und sie dadurch zu ihrem Beitrag zu bewegen, könnte darin bestehen, Fehlverhalten aufzuzeigen, zu kritisieren oder sozial zu ächten, wobei die Berücksichtigung der individuellen Umstände der angeklagten Person natürlich dringend geboten ist.

 

Quellen:

Fischbacher, U., Gächter, S., & Fehr, E. (2001). Are people conditionally cooperative? Evidence from a public goods experiment. Economics Letters, 71(3), 397-404.

Fehr, E., & Gächter, S. (2000). Cooperation and punishment in public goods experiments. American Economic Review, 90(4), 980-994.

 

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